Gerhard Heinrich Nanninga

Zum Geburtstag des Malers am 07.05.1817

Irgendwann zwischen 1839 und 1847 saßen sich zwei Männer gegenüber – der eine still verharrend, der andere aufmerksam beobachtend und zeichnend. Das Ergebnis ist das Brustbildnis eines Herrn mittleren Alters mit stark gelocktem Haupthaar und Koteletten, der die Lippen entschlossen zusammenpresst. Als Zeichen seiner Profession ragt unterhalb seines Kinns aus dem hellen Hemd ein Beffchen (Halsbinde) hervor. „F. H. HESSE, Prediger zu Emden“ ist das grafische Blatt (Inv.Nr.: GS Kunst 1893) bezeichnet und verrät so, um wen es sich bei dem Dargestellten handelt. Franz Hinrich (Hinderks) Hesse wurde am 11. September 1803 in Emden als Sohn des reformierten Predigers Dr. Hinderk (Hinrich) Hanssen Hesse (* 21.10.1768 in Kloster Aland † 16.7.1841 in Aurich) und seiner Ehefrau Geeske Klugkist (* 16.4.1782 in Greetsiel † 18.10.1806 in Emden) geboren. Er studierte Theologie in Utrecht und erhielt im Alter von 22 Jahren eine Anstellung als reformierter Prediger in Loga. Hesse heiratete Johanne Antoinette Elisabeth Garrels (* 12.8.1806 in Leer † 2.3.1887 in Emden), die Tochter des Kaufmanns Johann Hinrich Garrels (* 22.2.1766 in Leer † 16.12.1818 in Leer) und seiner zweiten Gemahlin Anna Elisabeth Garlichs (* 31.5.1773 in Fedderwarden † 29.8.1838 in Leer). Nachdem Hesse ab 1829 in Midlum gewirkt hatte, übernahm er 1837 eine Predigerstelle in Emden. Am 26. Januar 1838 wurde der Neu-Emder in die Gesellschaft für bildende Kunst und vaterländische Altertümer seit 1820 als Wirkliches einheimisches Mitglied aufgenommen. Im gleichen Jahr schloss er sich auch der Naturforschenden Gesellschaft zu Emden von 1814 an. Nachdem er am 20. September 1861 aus der „Kunst“ ausgetreten war, erfolgte am 8. April 1862 seine erneute Aufnahme. Hesse fungierte von 1848 bis 1857 als Vorsitzender des Coetus (Versammlung) der reformierten Prediger Ostfrieslands und wurde 1858 zum Kirchenrat sowie 1860 zum Oberkirchenrat ernannt. Seinen 1863 angetretenen Ruhestand konnte er nicht lange genießen, denn Hesse starb am 2. September 1863 in Emden.

 Im Bild unten rechts findet sich die Signatur des zweiten Mannes, der den Zeichenstift geführt hat: „Nanninga lith“. Gerhard Heinrich Nanninga erblickt am 7. Mai 1817 als Sohn des Emder Stadtbaumeisters Jan Abrahams Nanninga (* vor 20.2.1772 in Hauen bei Pilsum † 18.1.1840 in Emden) und seiner zweiten Ehefrau Christine Elisabeth Farthmann (* 1791 in Halte † 17.1.1859 in Emden) in Emden das Licht der Welt. Aus seiner Jugendzeit ist bekannt, dass er die Zeichenschule des Kunstmalers Peter Arnold Honsberg (* 5.9.1767 in Remscheid † 27.1.1833 in Emden) besuchte. Im Alter von 18 Jahren zog Nanninga für drei Jahre nach Berlin, um an der dortigen Kunstakademie zu studieren. Im November 1839 bat er den Magistrat der Stadt Emden, ihm die Erlaubnis zu erteilen, als Porträtmaler und Zeichenlehrer tätig werden zu können. Für Nanninga unverständlich, erhielt er keine Genehmigung, als Lehrer arbeiten zu dürfen, da die Magistratsmitglieder der Meinung waren, dass seine Zeichenkunst nicht besonders ausgeprägt gewesen wäre, und sie empfahlen ihm, sich akademisch fortzubilden. Nanninga zog Ende Januar 1840 erneut nach Berlin und studierte dort bis zum Herbst 1843. Er ließ sich in Emden als Porträtmaler nieder und konnte nebenher mit magistratlicher Genehmigung nun auch als Zeichenlehrer tätig werden. Nanninga besaß die große Begabung, die Wesen derjenigen, die ihm Modell saßen, einzufangen, auch wenn die wenigen heute noch bekannten Porträts fast immer Melancholie oder Ernsthaftigkeit ausstrahlen. In den 1840er Jahren, als die Romantik in ihrer Spätphase und der Biedermeier aufeinandertrafen, standen Gefühle, Individualität und die gequälte Seele im Mittelpunkt künstlerischen Wirkens. Nach langem Leiden starb Nanninga am 14. Juni 1847 – gerade einmal 30 Jahre alt und erst neun Monate mit der aus Schwedt stammenden Maria Louise Auguste Charlotte Dehl (* 23.1.1825) verheiratet – an der als Schwindsucht bezeichneten Tuberkulose.

Noch ein dritter Name wird am unteren Blattrand genannt: „Lith u. Gedr. b. AEbeling in Emden“. Auch wenn neben Nanningas Signatur das Wörtchen „lith“ den Hinweis darauf gibt, dass der Künstler das Porträt auf einen als Druckstock verwendbaren Stein gezeichnet hat – das griechische „lithos“ bedeutet Stein, das ebenfalls griechische „graphein“ schreiben –, so hat sich auch Heinrich Friedrich August Ebeling (* 11.3.1820 in Celle † 17.2.1887 in Emden) als Lithograf und Drucker bezeichnet. Wann er genau nach Emden kam, ist nicht klar – bekannt ist nur, dass er im Mai 1845 Wirkliches einheimisches Mitglied der Naturforschenden Gesellschaft zu Emden von 1814 wurde, also zu diesem Zeitpunkt seinen Wohnsitz in der Seehafenstadt besessen haben musste. Ebeling arbeitete nicht nur als Lithograf und Drucker, sondern von 1848 bis 1853 auch als Fotograf mit einem eigenen Daguerreotypie-Atelier.

Eine exakte Datierung des Porträts kann nicht vorgenommen werden, aber aufgrund der vorliegenden Lebensdaten kann seine Entstehung zumindest eingegrenzt werden – und so ergibt sich der Zeitraum 1839 – 1847.

Aiko Schmidt